Chicago 1977

Stundenlang gewartet auf dem Flughafen. Der Professor für Deutsch und Geschichte kam nicht. Sein Wagen war über Nacht gestohlen.  Also mit der Taxe. Die Unterbringung war phantastisch: ein Haus aus dem Jahr 1881 und von solcher Raffinesse, dass täglich Busse mit meist japanischen Touristen anlandeten, um es sich von vorn erklären zu lassen, dabei waren die Specials innenliegende Belichtungsschächte und die rückwärtig integrierten Gartenwohnungen.

Wir schliefen in antiken Betten und waren für die kommenden zwei Wochen im Alleinbesitz der Wohnung, weil unser Gastgeber in die Südstaaten fliegen musste, um seine Mutter zu begraben.
Abends gab es für uns die erste Enttäuschung, denn mit unserem verlodderten Outfit hatten wir in vielen Locations keinen Zutritt, wenn wir uns nicht als Touris auswiesen, was wir eigentlich zu vermeiden suchten. Aber als Amis wollte man uns nicht :-)
Mein Begleiter zog sich vor das heimische TV zurück, während ich mein Glück weiterhin in den Straßen und Parkanlagen Downtowns suchte, aber es kam immer anders: in einer Parkanlage wollten mich zunächst irgendwelche singenden Christenmenschen zum Jesusjünger in Uniform machen, zehn Minuten später nahm mich die Polizei fest, weil ich einer Straftat (mindestens Raub und Dealerei) verdächtig sei. Dass ich meinen Ausweis aus Sorge vor Taschendieben im Quartier gelassen hatte, kostete mich nun einige Stunden, bis man mich mit Blaulicht zurückfuhr.

Da man an Gestalten wir mir in den besseren Stadtteilen zumindest kein spontanes Interesse hatte, besuchte ich die schlichteren Viertel. Auch dort war man ein wenig irritiert, dass ich auf "Lebensumstände" neugierig war, aber die Vorzeige-Projekte der Stadt hatte ich binnen eines Tages fotografiert und war mir sicher, dass es bereits genügend Fotos davon geben werde.
Meine "Friends" in den Armenvierteln Chicagos unterschieden sich mental kaum von denen in den Reichenvierteln. Unstillbarer Hunger nach Erzählungen aus "Old Germany": Was ist das beste Bier? Zu welchem Fußball-Club ich mich bekenne. - Ich sah möglicherweise nach Bier aus, aber ich war aus Vollmilch und ich guckte grundsätzlich kein Fußball, sondern spielte selbst. Allerdings nicht bei Bayer München :-)  Also, das war es nicht, weshalb ich in Chicago war!  Diese Leute musste man einfach zur Revolution anstiften. Das klappte aber nicht. Sie meinten, dass ich erst 'mal einen Joint rauchen solle ...  Wenn ich mich recht erinnere,  gab es 1977 in den USA keine Revolution.  Wir flogen noch für zwei Wochen nach NY. Elvis starb. Amerika heulte. Und wir flogen back to Germany.  
Sven

 

Unterwegs in den Südstaaten