Sozialistengesetz

Erklärung des SPD-Parteivorsitzenden Gerhard Schröder zu 125 Jahre "Sozialistengesetz"

235/17.10.03

Vor 125 Jahren, am 19. Oktober 1878, wurde das „Sozialistengesetz“ vom Reichstag verabschiedet. Es erklärte – im Widerspruch zu allen rechtsstaatlichen Grundsätzen - die Sozialdemokratie für „gemeingefährlich“ und stellte sie unter Ausnahmegesetzgebung. Das Gesetz wurde bis 1890 immer wieder verlängert. Für Sozialdemokraten bedeutete das Sozialistengesetz Not und Verfolgung. Bis 1890 wurden 332 Organisationen der Arbeiterbewegung und etwa 1300 Zeitungen verboten. Zahlreiche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben im Gefängnis dafür gelitten, dass sie ihre politischen Rechte wahrgenommen hatten.

Für Sozialdemokraten hätte es damals nahe gelegen, sich in eine Verweigerungshaltung zurückzuziehen. August Bebel und seine Mitstreiter im Parteivorstand haben dieser Versuchung widerstanden. Sie verbanden ihre scharfe Kritik an der politischen Ordnung, die sie brutal ausgrenzte, mit einem Bekenntnis zu ihrem Vaterland. Das Stigma der „vaterlandslosen Gesellen“ wurde der SPD jedoch dauerhaft angeheftet und vergiftete das politische Klima noch lange nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes. Noch weit bis in das 20. Jahrhundert hinein prägte diese Verunglimpfung die Haltung der bürgerlichen Parteien zur Sozialdemokratie. So sind konservative Parteien bis heute der Versuchung ausgesetzt, das Ausüben von Regierungsmacht selbstverständlich nur für sich zu beanspruchen: Regierungszeit der SPD bleibt für sie ein „Ausnahmezustand“, den es zu beenden gilt.
Die beabsichtigte Zerschlagung der SPD wurde durch das Sozialistengesetz nicht erreicht. 1890 errang die SPD einen überwältigenden Wahlsieg, der sie zur stärksten Partei in Deutschland machte.

Das Sozialistengesetz bewirkte jedoch, dass die Partei aus ihren verschiedenen Strömungen, dem „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ Ferdinand Lassalles und den Eisenachern um August Bebel und Wilhelm Liebknecht enger zusammenwuchs. Die Zeit der Not wurde so zur Zeit der Bewährung. Sozialdemokraten verband die gemeinsame Erinnerung an Not und Unterdrückung. Sie stiftete Einheit, Solidarität und Geschlossenheit.
Dies war die Basis für den erfolgreichen politischen Kampf der SPD in ihrer 140-jährigen Geschichte. Ein politischer Kampf um Frieden, um Freiheit und Demokratie in Deutschland, um Teilhabe aller an Wohlstand und sozialer Sicherheit. Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit sind unsere Grundwerte geblieben. Heute geht es darum, einen Weg zu beschreiten, der wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit miteinander in Einklang bringt. Dies ist das Vermächtnis und zugleich die Verpflichtung, die uns aus der Gründungszeit der SPD erwächst.

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